Marken-Architektur. Wörtlich genommen.

Die niedersächsische Tiefebene ist ein furchtbar fruchtbares Land. Niedersachsen hat nicht nur die höchste Geburtenrate unseres Landes, nein, auch eine äußerst produktive Landwirtschaft.

Die Hälfte der Kartoffelproduktion aus deutschen Landen kommt aus Niedersachsen. Und ganz viele Erdäpfel wachsen fröhlich im Oldenburger Münsterland. Grund genug für die kartoffel-verarbeitende Lebensmittelindustrie, sich genau hier, nämlich direkt an der Quelle, anzusiedeln.


Fun Fact: Im Oldenburger Münsterland leben mehr Schweine als Menschen.


In den 60er Jahren kam Herr Siemer, ein bauernschlauer Geschäftsmann und CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Oldenburger Münsterland, auf die äußerst innovative Idee, Lebensmittel zu pulverisieren und in einem Rieselverfahren an der Luft zu trocknen. Die Idee war nicht ganz seine. Sie war sehr inspiriert durch ein Schweizer Verfahren, an dem er die Rechte erwarb.

▶︎ Die Relevanz: Die moderne „Hausfrau“ der aufstrebenden 60er Jahre sah nicht mehr den Herd als ihren “Lebensmittel”-Punkt, sondern als schnelles Mittel zum Zweck. Halbfertige Lebensmittel-Produkte kamen auf den Markt. Heute sagt man “Convenience Food”. Doch das war Herrn Siemer damals egal. Sein Anspruch: Wer Kartoffelpüree machen wollte, sollte nicht mehr Kartoffeln zu Brei stampfen, sondern gelbes Pulver mit Milch und Wasser fluffig aufkochen.

In der Cloppenburger Tiefebene wurde 1963 ein gigantischer Turm gen Himmel gebaut – 76 m hoch. Der schöpferische Gedanke: Von ganz oben nach ganz unten rieselt das feuchte Kartoffel-Pulver und trocknet während des tiefen Falls an der guten Cloppenburger Landluft. Das Gemüse-Pulver wird in Tüten gefüllt. Fertig.

Die Ingenieure testeten, probierten und machten. Doch auch nach zwei Jahren war das Pulver immer noch feucht, als es unten ankam. Was in der Schweiz in der warmen eidgenössischen Luft funktionierte, klappte in der kühlen Cloppenburger Tiefebene eben nicht so einfach. Der bauernschlaue Bundestagsabgeordnete scheiterte und verkaufte den Turm an Pfanni.  Pfanni, die spätere Markenikone in jeder Küche der 70er und 80er Jahre!

▶︎ Pfanni schaffte es, in Cloppenburg die Kartoffel-Püree-Produktion lukrativ zum Laufen zu bringen. Phantastisch! Als Kind wusste ich nicht, wie man Kartoffelpüree eigentlich richtig macht. Kartoffelpüree war das Pulver von Pfanni. Was Tempo für das Taschentuch ist, war Pfanni für den Kartoffelbrei. Pfanni wurde zur Marken-Ikone.

Und der Turm in Cloppenburg mit dem orange-leuchtenden Logo von Pfanni wurde ebenso zur Legende. Das moderne Bauwerk wurde buchstäblicher Bestandteil der Markenarchitektur von Pfanni. Der Turm wurde im Volksmund zum “Pfanni-Turm”, den sogar die Band Element of Crime im Lied „Kopf aus dem Fenster“ andächtig besang: „Was für Cloppenburg Pfanni ist, bist du für mich.” Funny, oder?

Das Bauwerk ist heute ein Baudenkmal. Obwohl Pfanni schon seit längerer Zeit die Produktionsstätte aufgegeben hat, prangt noch immer weithin sichtbar das fröhliche Logo auf dem grauen Beton. Der Turm ist zum dreidimensionalen, kulturhistorischen Markenarchiv geworden. Das Baudenkmal wurde zum Markendenkmal.

▶︎ Denkmal drüber nach! Ist es nicht immer wieder toll, dass Marken eine solche identitäre Strahlkraft erzeugen? Dass Marken verbindender Teil unserer Alltagskultur werden können. Dass Marken visuelles und emotionales Symbol in unserem Leben sind.

Darum sollten wir Markenführung nicht nur als den wichtigsten Ausgangspunkt des Marketings, sondern der gesamten Unternehmensführung sehen. Und gerade deshalb tragen Unternehmen und Marken Verantwortung. In unserer Konsumkultur. Vor allem aber als häufig zentraler Bestandteil in unserem Leben.


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