Eine Kontroverse zur Branchendarstellung der Kreativwirtschaft.
Hamburg Oberhafenquartier. Letzte Woche. Mit einigen Kollegen begab ich mich auf die Suche nach Neuland. Nach einem verheißungsvollen unabhängigen Inselstaat der Ideen. Die neue Republik liegt im Verborgenen. Doch, wer suchet, der findet. Endlich. Kleine Fähnchen künden den Grenzübergang an. Ein paar Formalien. Zwangsumtausch. Geld gegen ein lila Bändchen, das Zugehörigkeit markiert. Wir können und wollen Neuland entern.
Die Republik Neuland hat eine beachtenswerte Verfassung:
„Im Bewusstsein ihrer Verantwortung und in Erkenntnis
der Tatsache, dass Ideen in aller Welt verfolgt, verändert,
zensiert, unterdrückt und verhindert werden,
haben die Kreativen Deutschlands beschlossen, Ideen
eine souveräne, unverletzliche Freistatt zu schaffen:
den Staat Neuland.“
Soweit die Präambel. Mit diesen Erwartungen betreten wir das neue unabhängige Reich der Ideen. Wir gelangen in einen zugigen Verladebahnhof, in dem Güterwaggons stehen. Zwischen den Gleisen das Labyrinth der besten Kampagnen. Deutschlands Verband der kreativen Elite präsentiert seine prämierten Arbeiten auf Europaletten und an den schon bekannten Stellwänden.
Aha, eine Werkschau mit Werkstatt-Atmosphäre, wie gewohnt. Neuland befindet sich noch deutlich im Aufbau, im Aufbruch, am Anfang der Reise. Der Verladebahnhof ist nur eine Zwischenstation. Auf dem Weg in ein verheißungsvolles Land.
So kann man es positiv sehen. So kann man sich die diesjährige Werkschau zurechtrücken. Aber. ABER. Präsentation sollte die Stäke unserer Branche sein. Ich zumindest habe die besten Präsentationen in Agenturen entstehen sehen. Und nicht in den Marketingabteilungen der Kunden. Wenn sich eine Branche mit den besten und kreativsten Kampagnen präsentiert, dann bitte auch im Präsentationsmodus. Ideen müssen ins rechte Licht gerückt werden. Müssen spannend und aussagekräftig dargestellt werden. Benötigen Raum. Eine Werkschau braucht eine Dokumentation. Ein Köchel-Verzeichnis. Und keine pinken Zettel, die kaum sichtbar manchmal irgendwo an eine Stellwand gepinnt wurden und kaum Infos bieten. Ja, die Insider kennen sich aus. Die wissen, welche Agentur, welches Team für welche Zielsetzung diese Maßnahmen geschaffen haben. Aber eben nicht jeder. Schließlich sollte eine solche Schau auch Breitenwirkung entfachen für viele Interessierte.
In der digitalen Agentur-Branche haben wir die „Customer Journey“ unserer Kunden im Blick. Hierzu gehört vor allem relevantes Storytelling, Infotainment zur Marke, zur Kampagne. Das hätte ich mir gewünscht. Ich hätte punktuell mehr über die Hintergründe einer Kampagne erfahren wollen, über die Kreativ-Strategie hinter den sich wellenden Pappen. Klar, die Werke sprechen für sich. Aber im Museum erlebe ich häufig ebenfalls eine didaktisch erklärende Aufbereitung. Stichwort Digital. Eine Tablet App zur Ausstellung, den digitalen Neuland-Führer, das wäre was feines gewesen. Oder mindestens QR-Codes zu den Arbeiten – für alle Interessierten, die mehr wissen wollen. Schließlich werden die Arbeiten bei der Einreichung perfekt dokumentiert und aufbereitet. Die Daten sind da.
Ja, der ADC steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Aber Sponsor Vodafone hätte sicher noch ein paar „Leih-Tablets“ zur Verfügung stellen können. Damit die Ausstellung spannend, vertiefend, aussagekräftig erklärt wird.
Wir leben in einer digitalen Welt. Kampagnen werden digital. Dem verschreibt sich auch der ADC. Sichtbar war die digitale Vernetzung der Kommunikation an keiner Stelle auf den Güterbahnhofgleisen.
Neuland war nicht zu sehen. Stattdessen Republik Altes Land. Kein Wunder, dass Kreativwettbewerbe bei Marketingleitern kaum Relevanz entfalten, wie in der W&V berichtet.
Eine Chance wurde vertan, Kreativität und Kreativ-Strategie didaktisch aufbereitet, in einer neuen, sich verändernden Werbewelt relevant zu präsentieren. Stattdessen nur Kreativität auf der Durchreise. Die Hoffnung auf Neuland bleibt.