Wir kennen ihn, den Satz „Die Welt ist eine Google.“ Mit seinem „offenen“ System hat Google das Internet erobert. Das Internet dreht sich um die Google. Ja mehr noch: Der Suchmaschinen-Gigant schickt sich an, das Internet zu werden.
Heute ist Google dank seiner Such-Funktion zumindest das Tor zum Internet und damit eine der am häufigsten aufgerufenen Sites auf dem Globus. Google verzeichnet in den meisten Brand Value Rankings (vgl. MillwardBrown oder SyncForce) einen der größten Markenwerte aller Unternehmen.
Aber…
Von Bean Bags und einem Sack voller Flöhe
Gemessen am Internetzeitalter ist die Marke „Google“ uralt. Trotzdem versprüht der im September 1998 online gegangene Dienst immer noch den Charme eines nerdigen Start Ups. Sympathisch. Angenehm. Der Bean Bag unter den postmodernen Klassikern. Natürlich sind diese unkonventionellen Sitzmöbel auch Teil der Chill Out Area im Hamburger Headquarter.
Nach einer ruhevollen Phase entwickelt sich die Google Produktwelt aktuell wieder rasant, was nicht zuletzt am neuen Google+ liegt. Da kann man auch mal den Überblick verlieren. Es weiß manchmal nicht einmal mehr der Google Sprecher Stefan Keuchel, was es in seiner, sich ständig erweiternden großen Welt wieder alles für neue Produkte gibt. Mit erstaunlicher Offenheit postet Keuchel auf Google+ manchmal Sätze wie „…kannte ich noch nicht.“ oder „klingt nach ner Extension, die ich mal ausprobieren werde…“ Man muss den Mann in Schutz nehmen. In diesen Tagen wird er so viel um die Ohren haben, wie wahrscheinlich nach der Google Streetview Datenschutz-Diskussion schon lange nicht mehr. Zum einen gibt es täglich mindestens ein Update für Google+ oder ein anderes neues Google Projekt. Zum anderen – und das ist wohl entscheidend – sind viele interessante Google Applikationen nicht direkt von Google entwickelt worden, sondern von externen Anbietern, manchmal „autorisiert“ durch den Zusatz „powered by Google“, „powered by Youtube“ etc. Das führt zwangsläufig zu einer gewissen Unübersichtlichkeit, der im Rahmen des großen Produkt-Outputs kaum Herr zu werden ist. Man hat den Eindruck, auf der To-Do-Liste von Google gibt es einen gewissen Priorisierungsstau. So fokussiert z. B. der Such-Gigant zunächst auf die „verified names“ bei Google+ – ein Häckchen, welches einem Google Profil Celebrity-Status verleiht. Dabei vergisst Google seinen Produktkern völlig, nämlich die Suche – hier Social Search, sprich Personen, Themen und Meinungen auf Google+ untereinander zu vernetzen. Der auf Suche spezialisierte Goliat ist auf Google+ in punkto Search ein David. So gibt es noch nicht einmal ein Tagging-Prinzip (vergleichbar mit den Twitter Hashtags), mit denen man Posts thematisch kennzeichnen kann. Den Google Markenkern so sträflich bei einem herausragendem strategischen Neuprodukt zu vernachlässigen ist ein No Go. Es mussten dann auch Google Nutzer „Inhaltsverzeichnisse“ veröffentlichen, die Google+ Profile kategorisieren. [Eine interessante Liste diverser Google+ Profiles Verzeichnisse ist unter anderem hier zu finden: TNW Artikel]
Die Unbekümmertheit des in Mountain View ansässigen Unternehmens ist momentan offensichtlich im Rahmen einer kollaborativen offenen Internetwelt gewünscht – und einer gewissen Kapazitätsauslastung der Google Mitarbeiter geschuldet. Doch diese scheinbare Naivität geht noch einen Schritt weiter. Google Sprecher Keuchel ist sympathisch unkonventionell, wenn er auf seinem Google Profil schreibt, er sei „Twitter Addict“. Kein Wunder, mit über 9 Tsd. Tweets hat er mehr als 12 Tsd. Follower unter dem Account @frischkopp und damit Gold-Status erreicht. So schön, so gut. Aber das offenherzige Bekenntnis zu Twitter ist doch vergleichbar mit der Unmöglichkeit, dass Steve Jobs sagt, er sei „Android Lover“. Google+ ist genauso ein Konkurrenzprodukt zu Twitter wie das mobile Betriebssystem Android zu Apples iOS. Man gibt sich scheinbar unorthodox gelassen. Vielleicht zeigt das echte Größe.
Von einer offenen Produktwelt zu einer geschlossenen Markenwelt
Dennoch. Es herrscht eine überragende Komplexität und Unübersichtlichkeit in der Google Produktwelt vor. Welcher Otto Normalverbraucher kennt die oben genannten Tools, die ihm die Google+ Themenvernetzung erleichtern? Welcher gemeine Konsument, weiß, dass Picasa der Fotodienst von Google ist? Nicht viele wissen, dass der Blogservice Blogger von Google kommt. Und es wird auch nicht viele Internetuser geben, die wissen, dass Youtube zu Google gehört. Geschweige denn, die etwas von dem gutgemeinten Versuch, mit Youtube Leanback den Videoservice TV-tauglich zu machen, gehört haben. Wer kennt die zahlreichen unabhängigen Applikationen wie Youtify oder Jukesy, welche aus Youtube schöne Internetradios zaubern? Und nicht viele Google Nutzer werden wissen, dass mit Google docs Tausende von Open Source Office Formularen online sind. Diese Liste könnte man nahezu endlos verlängern. Da draußen gibt es in der Google Cloud unglaublich viel zu entdecken! Ein komplexes Universum, eine verstreute Milchstraße. Google muss seine Stars auf eine gemeinsame Umlaufbahn bringen. Wie gesagt: Google ist eine Suchmaschine… Das ist schon das falsche Wort. Es geht ums Finden. Es gibt keinen Google Produkte Finder. Sprich: Es gibt keinen stringenten Google Produktkatalog, der die eigenen Google Produkte bedürfnisgerecht auffindbar macht und gegebenenfalls vernetzt. Zugegeben. Man muss ein Buch schreiben, welches dem Katalog gerecht werden würde. Aber es ist an Google, einen Weg zu finden, die offene Produktwelt in eine geschlossene zusammenhängende Markenwelt zu führen, die Absenderschaft von Google hervorzuheben und Tools zu vernetzen. Aktuell gibt es nur „The Official Google Blog“ und für Deutschland „Der Google Produkt-Kompass“. Im Google Blog werden unter anderem Produktneuheiten gepostet und man müsste das Archiv durchstöbern, um sich einen Überblick zu beschaffen. Der Produkt-Kompass verdient seinen Namen ebenfalls nicht. Liebe Googler! Überlegt Euch endlich Algorithmen, um Eure eigenen Produkte auf einer Google Produkte Finder Plattform besser zu kommunizieren und zu vernetzen. Und führt die Produkte unter ein Markendach zusammen. Das wäre verdammt notwendig. Und: Es wäre unglaublich spannend!
Google ist freilich dabei, die erste Hürde auf dem Weg vom Krämerladen zur einheitlichen runden Markenwelt zu erklimmen – mit einer zunehmenden Produktkonvergenz. Die zweite Hürde muss dann mit strategischem Marketing, einheitlichem Branding und Kommunikation, welche die Google Produktwelt transparent darstellen und zusammenführen kann, übersprungen werden.
Die gute alte Markentechnik ist in der fraktalen Internetwelt Platin wert. Mindestens dann, wenn man als professioneller Markenartikler die Wünsche von Menschen adäquat befriedigen will. Und wenn man weiter wachsen will.
Die Google ist keine Welt. Noch nicht.
Nun, das klingt jetzt nach kapitalistischer Konterrevolution in einer netzpolitischen Welt, die eigentlich Datenkraken bekämpfen will. Aber warum sollte die Google-Welt nicht noch runder werden. Hierzu gehört zum einen eine stärkere datentechnische Vernetzung der Produkte, zum anderen natürlich die markentechnische Vernetzung. Für ein Internetunternehmen ist eine starke Daten-Aggregation legitim – selbstverständlich unter der Befolgung der Privatsphäre-Richtlinien mit Zustimmungspflicht der Nutzer und der Transparenz der Verwendung der Daten. Keine Frage. Aber ein Unternehmen wie Google monetarisiert Daten. Das ist Geschäftszweck. Und warum sollte Google nicht in diesem Sinne ein professionelles Markenunternehmen sein. Hierzu gehört aber auch, dass Google Empathie für die Bedürfnisse seiner Nutzer entwickelt. Wenn dieses tiefgreifende Einfühlungsvermögen bei Google vorhanden ist, dann kann Google weiterhin den Charme des unkonventionellen Nerds ausspielen, verknüpft mit bedürfnisorientierter, nachhaltiger und visionärer Markenpolitik. Eine tolle Chance!
Ein Internet-Unternehmen hat es bisher geschafft, so absolute Love Brand zu werden, die ihren Konsumenten Bedürfnisse aus dem Herzen liest: Apple.
Und Apple ist in den Brand Value Rankings vor Google… auf Platz 1.